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Lesetext

Hier finden Sie den Lesetext zum jeweiligen Thema. Die Texte wurden nach wissenschaftssprachlichen Standards verfasst, die darin verwendeten Literatur- oder Internetquellen finden Sie im Literaturverzeichnis. Wenn Sie Übungen zu den Lesetexten bearbeiten möchten, klicken Sie bei dem jeweiligen Thema das Leseverstehen an.

Mündliche Formen der Hochschulkommunikation

Während schriftliche Formen wie Klausuren oder Seminararbeiten bei der Überprüfung studentischer Leistungen dominieren, spielt die Mündlichkeit im Studium sowohl produktiv als auch rezeptiv eine zentrale Rolle (vgl. Fandrych/ Rüger & Brinkschulte 2019: 9). Mündliche Formen der Hochschulkommunikation sind Vorlesungen, Vorträge und Präsentationen von Lehrenden, studentische Referate und Präsentationen, Posterpräsentationen, Seminar- oder Übungsdiskussionen, Gruppenarbeiten, Laborgespräche, mündliche Prüfungen und Sprechstundengespräche. Einige dieser Formen wie Seminar- und Übungsdiskussionen oder Sprechstundengespräche sind interaktiver Art und erfordern dementsprechend eine aktive Beteiligung aller Gesprächsparteien. Internationale Studierende müssen lernen, Gesprächssituationen adäquat einzuschätzen und die dafür angemessenen sprachlichen Ausdrücke auszuwählen. Die Verwendung dieser Ausdrücke hängt mit sozialen und kommunikativen Rollen von Studierenden in einer bestimmten Kommunikationssituation zusammen (vgl. Fandrych 2019: 21, WWW-Veröffentlichung). Sprachliche Routinen in der mündlichen Wissenschaftssprache unterscheiden sich von denen der geschriebenen Wissenschaftssprache, auch bei Texten, die auf schriftlichen Grundlagen basieren, wie Vorträgen oder studentischen Referaten und Präsentationen. Die sozialen und kommunikativen Rollen, also Kommunikationsstrukturen zwischen Studierenden untereinander und zwischen den Hochschullehrenden und Studierenden fallen, wie bereits erwähnt, je nach Wissenschaftstradition auch unterschiedlich aus. Im Folgenden wird auf einzelne hochschulrelevante Formen der mündlichen Kommunikation eingegangen. Akzentuiert werden bei unterschiedlichen Gattungen spezifische sprachliche Routinen und Stilformen sowie die Rollenverteilung in der deutschen Wissenschaftstradition.

Einzelgespräche mit Lehrenden

Die westliche akademische Kultur, zu der die deutsche zählt, ist eine „Verstandes-orientierte"1 Lernkultur. Sie ist durch das Denken und Handeln der griechischen Philosophen wie Sokrates und Aristoteles geprägt und zeichnet sich durch die diskursive Wissensvermittlung aus. D.h. ein Erkenntnisgewinn entsteht im Diskussionsprozess, die Interaktion zwischen Lehrenden und Studierenden steht dabei im Vordergrund und ist unabdingbar für diese Art von Lernen (vgl. Berninghausen 2017: 31). In den „Tugend-orientierten" Lernkulturen wie z. B. in China, aber auch in Indien, islamischen Ländern und in afrikanischen Subsahara-Ländern lernen die Schüler*innen von ihren „Meister*innen", indem sie die Lehrenden nachahmen und das Wissen durch Fleiß, Konzentration und Ausdauer erwerben. Diese Art von Lernen erfordert weniger Kommunikation (vgl. ebd.). Die nationale Bildungserfahrung prägt in der Regel die Lern- und Kommunikationsgewohnheiten, was zu einem Konflikt werden kann, wenn vertraute Lernmethoden und Arbeitsformen nicht zum Erfolg führen.

Die Kommunikation zwischen Studierenden und Lehrenden findet an deutschen Universitäten und Hochschulen in Form einer Sprechstunde, also im persönlichen Gespräch, oder schriftlich per E-Mail statt. Einige Lehrende bieten im Anschluss an Ihre Veranstaltung eine Kontakt- bzw. Gesprächsmöglichkeit. Außerhalb der Sprechstunde sollte die Kontaktaufnahme auf dem Flur oder Campus gemieden werden, da die Dozent*innen viele weitere Verpflichtungen wahrnehmen und viele andere Studierende betreuen müssen. Die Auswahl einer passenden Kommunikationsform richtet sich nach dem Anliegen der Studierenden. Organisatorische Fragen, die die Lehrveranstaltung betreffen -- An- und Abmeldung, Entschuldigung beim Fehlen, Abgabefrist einer Arbeit -- o.ä. sollen per E-Mail abgewickelt werden. Einige der organisatorischen Fragen können auch in der Lehrveranstaltung geklärt werden. Auch die Terminvereinbarungen für eine Sprechstunde erfolgen in der Regel via E-Mail, häufig mit der vorherigen Angabe des Anliegens. Hier besteht allerdings keine Einheit, an manchen Hochschulen werden offene Sprechstunden zu festen Zeiten, jedoch ohne Terminvergabe angeboten (vgl. Lange/ Rahn 2017: 107). Anliegen, die in die Sprechstunde von Lehrenden führen sollen, sind komplexer Art und können das Verfassen einer schriftlichen Arbeit, die Vorbereitung einer Prüfungs- oder Studienleistung oder andere Fragen fachlicher oder methodischer Art betreffen. Bei Problemen mit Studienplanung oder privaten Schwierigkeiten, die sich negativ auf die Studiensituation auswirken können, sollte man auf Beratungsangebote der Hochschule zurückgreifen. Dort findet man entsprechend geschulte Berater*innen, die sich mit Hilfsangeboten in solchen Situationen auskennen.

Sprechstundengespräch

Universitäre Sprechstunden bilden also die einzige Möglichkeit für ein persönliches und ausführliches Gespräch mit den Hochschullehrkräften (vgl. Limberg 2019: 144). Diese Form der Kommunikation lässt sich im Studium kaum vermeiden, da viele Studien- und Prüfungsleistungen einer Besprechung und Begleitung in der Sprechstunde bedürfen. Sprechstundengespräche sind eine besondere Art der face-to-face Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden, die nicht primär der Wissensvermittlung dient oder in die Leistungsbeurteilung einfließt. Dennoch kann eine zufriedenstellende individuelle Beratung und Betreuung von Studierenden in der Sprechstunde positive Auswirkungen auf deren Studienverlauf haben (vgl. ebd.). Obwohl Sprechstundengespräche je nach Anlass und Thema variieren und so einen individuellen Charakter aufweisen, haben sie eine mehr oder weniger ritualisierte Gesprächsstruktur. Sie gliedert sich nach Limberg (2019: 154) in fünf Phasen:

  • Gesprächseröffnung
  • Anliegensformulierung
  • Besprechung und Bearbeitung des Anliegens (Hauptphase)
  • Abwicklungsphase
  • Gesprächsbeendigung

Die erste Phase der Gesprächseröffnung beginnt in der Regel mit der Begrüßung. Dabei wird durch stark normierte Grußformeln wie Guten Morgen oder Guten Tag die Bereitschaft für ein Gespräch angedeutet. Häufig findet im Anschluss an die Begrüßung eine Kontaktaufnahme statt: Studierende stellt sich mit Namen vor und identifizieren sich über die Verbindung mit einer Lehrveranstaltung, die sie besucht haben oder besuchen. Diese sprachlichen Handlungen werden von nonverbalen Aktivitäten wie dem Eintreten ins Büro der Dozent*innen und dem Platznehmen am Tisch begleitet (vgl. ebd.: 155). Mit dem Platznehmen wird oft der Übergang zur nächsten Phase des Gesprächs markiert, der häufig mit der sprachlichen Formel Was kann ich für Sie tun? seitens der Lehrenden signalisiert wird. Die Gesprächseröffnungsphase kann reduzierter ausfallen, wenn die erste, der Sprechstunde vorausgehende, Kontaktaufnahme per E-Mail stattgefunden hat. Das heißt, dass sowohl die Person als auch ihr Anliegen den Lehrenden bekannt sind und deshalb in der Eröffnungsphase nicht erneut präsentiert werden müssen. Häufig reicht ein kurzer Hinweis auf die vorherige Kontaktaufnahme, um die Verbindung zwischen beiden Interaktionen herzustellen (vgl. Limberg 2014: 231).

Die Sprechstundengespräche sind „zielgerichtet und gegenstandsbezogen" (Limberg 2019: 143), sie zeichnen sich durch das asymmetrische Verhältnis zwischen den Beteiligten aus. Die Ungleichheit der Beteiligten ist auf mehreren Ebenen verankert: durch die institutionelle Position (Hochschullehrkräfte vs. Studierende) und durch die fachliche Kompetenz (Expert*innen vs. Noviz*innen). Die Ungleichheiten machen die Sprechstundengespräche formal, direkt und gegenstandsbezogen. Aus diesem Grund entfallen in der Eröffnungsphase phatische2 Äußerungen in Form von Smalltalk, die in informellen Gesprächssituationen zur Gesprächseröffnung gehören. Nun wird das Anliegen geschildert. Limberg (2019) unterscheidet hier je nach Gesprächsanliegen drei Haupttypen von Sprechstunden: 1) administrative und studienbegleitende Anliegen; 2) Lehr- und Prüfungsanliegen; 3) Beratungs- und Betreuungsanliegen, wobei Anliegen der dritten Kategorie nicht in Verbindung mit einer konkreten Veranstaltung oder Prüfung stehen wie z.B. Beratung über Auslandaufenthalte oder Praktika (vgl. ebd.: 151). Das Anliegen kann monologisch präsentiert werden oder, wenn wichtige Informationen vorher z.B. per E-Mail ausgetauscht wurden, von beiden Seiten konstruiert werden (vgl. ebd.: 156.). In der Hauptphase des Gesprächs wird das Anliegen bearbeitet und geklärt. In der darauffolgenden Abwicklungsphase, die meist kurz ausfällt, werden die vereinbarten Inhalte und Ziele zusammengefasst und die Beendigung des Gesprächs vorbereitet. In der Regel wird ein Sprechstundengespräch mit einer Dankesformel seitens der Studierenden und einer beidseitig geäußerten Abschiedsformel abgeschlossen.

Vielen internationalen Studierenden ist diese kommunikative Gattung aus ihrem vorangegangenen Bildungskontext völlig unbekannt. Um die Kommunikationsfähigkeit internationaler Studierender in den Sprechstunden zu verbessern, wurde im Rahmen des Projektes Mehrsprachigkeit und Multikulturalität im Studium (MuMiS-Projekt)3 im Teilprojekt UniComm Deutsch ein Formulierungswörterbuch für die Hochschulkommunikation erstellt. Seit März 2023 steht eine erweiterte und ergänzte Version dieses Formulierungswörterbuches unter Digilex UniComm zur Verfügung. Das Formulierungswörterbuch bietet vorgefertigte Formulierungen für vier ausgewählte hochschulrelevante Kommunikationssituationen an: Sprechstundengespräche, Beteiligung an Lehrveranstaltungen, mündliche Präsentationen, Online- und E-Mail-Kommunikation. Der Schwerpunkt des UniComm Deutsch-Projektes liegt auf kulturspezifischen Besonderheiten universitärer Sprechstundengespräche, deren Gesprächsstruktur und den dafür typischen sprachlichen Formulierungen (vgl. Saberi 2019). Die auf der empirischen Basis gewonnenen Formulierungen wurden in acht häufigen Kommunikationssituationen nach Gesprächsphasen dargestellt:

  1. Anerkennung von Leistungsnachweisen

  2. Fragen zum Thema einer Hausarbeit

  3. Fragen zur Literatur

  4. Fragen zur Gliederung

  5. Bitte um Fristverlängerung

  6. Nachbesprechung einer Studienleistung

  7. Bitte um Gutachten

  8. Fragen zur Prüfung

Das Formulierungsangebot für jede Situation wurde durch Kommentare und Tipps sowie Beispielszenarien in Form von kurzen Videos ergänzt. In den Kommentaren finden sich Hinweise auf allgemeine Verhaltensmuster und Normen der Hochschulkommunikation; Tipps enthalten konkrete Handlungsempfehlungen zur jeweiligen Situation (vgl. ebd.: 195). Die passenden Modelvideos sollen den internationalen Studierenden eine ganzheitliche, realitätsnahe Wahrnehmung der Situation erlauben und die Möglichkeit geben, entsprechende Formulierungsmuster zu erkennen und in den eigenen Sprachgebrauch zu integrieren (vgl. ebd.: 193).

Außerdem bietet das Formulierungswörterbuch des UniComm Deutsch-Projektes Formulierungshilfen für mündliche Präsentationen, für die Beteiligung an der Lehrveranstaltungskommunikation und für die Online- sowie E-Mail-Kommunikation4 an. Bei der mündlichen Präsentation sind die Formulierungen den einzelnen Präsentationsphasen (Eröffnungs-, Kern- und Beendigungsphase), den inhaltlichen Aufbaupunkten einer Präsentation (eine Gliederung vorstellen, Inhalte aus gelesenen Werken wiedergeben, ein Thema wiederaufnehmen) sowie den typischen sprachlichen Handlungen beim Präsentieren (etwas hervorheben, schlussfolgern) zugeordnet. Die Formulierungen zur Beteiligung an der Lehrveranstaltungskommunikation sind nach typischen sprachlichen Handlungen aufgeteilt wie z.B. jemanden unterbrechen, eigene Meinung ausdrücken oder höflich widersprechen5.


  1. Mind versus virtue orientation" (Li 2005: 190ff, zit. nach Berningshausen 2017: 31) - Verstand versus Tugend. 

  2. Phatische Äußerungen oder phatische Kommunikation, im Volksmund als Smalltalk bekannt, dienen/dient ausschließlich der Erhaltung der Kommunikation. Phatische Kommunikation setzt sich in der Regel aus vorgefertigten, formelhaften Phrasen oder Sätzen wie z.B. Wie gehet es Ihnen?, Wo kommst du her?, Es ist kalt heute, nicht?!

  3. https://www.uni-kassel.de/mumis/www.mumis-projekt.de/mumis/index-2.html, Zugriff am 08.03.2023. 

  4. Schriftliche Formen der Hochschulkommunikation werden hier nicht weiter ausgeführt. 

  5. Vgl. https://digilex.uni-kassel.de/de/beteiligung-in-lehrveranstaltungen/aktive-beteiligung-an-veranstaltungsdiskussionen, Zugriff 08.03.2023.